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Agil führen – der Weisheit letzter Schluss?

Kritische Reflexion zum Artikel “Wird mit bunten Zetteln alles besser?“, SZ am 19.05.2019

Der Artikel beschreibt die Grundzüge des Agilen Führens sehr anschaulich, unterlegt mit Beispielen von Bosch Elektrowerkzeuge. Grundtenor: Die Welt verändert sich immer schneller, darum muss der Konzern sich anpassen, um zu bestehen. Also vom trägen Konzern zum beweglichen Unternehmen.

Und was passiert tatsächlich beim Agilen Führen? Das Fazit erstaunt, weil banal: Die Führungskraft erledigt keine konkreten Aufgaben mehr. Das übernehmen die Mitarbeiter. Sie entscheiden auch darüber, wie sie etwas am besten tun. Es braucht also keine detaillierten Arbeitsvorgaben seitens des Chefs.

Hört sich gut an. Und was ist neu? Nach unserem Verständnis der Führungskräfteentwicklung ist das eine Selbstverständlichkeit. Und auch altbekannte Management-Methoden wie Management by Objectives geben Ziele vor, keine konkreten Arbeitsanweisungen.

Wenn nun dennoch von Agiler Führung gesprochen wird, heißt das, dass bisher Bekanntes nicht umgesetzt wird. Extremer noch: dass auf der Ebene der Führungskräfte das notwendige Bewusstsein fehlt.

Interessant im Artikel ist der Aspekt der abteilungsübergreifenden Verflechtung. Ein Controller sieht zum Beispiel anhand der Zahlen, dass die Ergebnisse der Vertriebsabteilung schlecht sind. Aber er weiß nicht, warum das so ist. Nimmt er regelmäßig am Stand-up (kurzes Zusammenstehen und Besprechen in der agilen Organisation) teil, dann weiß er sehr schnell sehr viel mehr. Eine agile Organisation ordnet die Spezialisten den Arbeitsgruppen fest zu. Und dadurch, dass jeder sich selbst organisiert, braucht es viel weniger Führungskräfte. Ganze Hierarchie-Ebenen werden eingespart.

Im Prinzip passiert auf der Ebene der Verwaltung das, was vor Jahren unter dem Schlagwort “Lean Management“ in der Produktion geschah. Damals sollte die Ebene der Meister eingespart werden.

Bosch wird gute Gründe haben, weshalb er auf agiles Führen umsteigt. Auch wir meinen, dass es vorteilhaft ist, wenn etwas schneller geht. Gerade in den großen Organisationen. Aber fünf Hierarchie-Ebenen auf drei einzudampfen erscheint recht radikal. Und radikale Maßnahmen lösen starke Emotionen bei den Betroffenen aus. Ein wichtiger Faktor, der bei Veränderungen berücksichtigt und aktiv eingebunden werden muss.

Wie bei jeder Veränderung gibt es Vor- und Nachteile. Denken wir also über weitere Folgen der Agilen Führung nach. Und bleiben wir beim Beispiel des Controllers. Er wird einer Arbeitsgruppe zugeordnet. Seine Kollegen werden anderen Arbeitsgruppen zugeordnet. Damit löst sich die Controlling-Abteilung auf. Der Nachteil liegt auf der Hand: auch die Heimat der Controller wird aufgelöst. Also der Ort, an dem das Controlling-Wissen gesammelt wird. Wo soll das in Zukunft stattfinden? Oder kann darauf wirklich verzichtet werden?

Eine weitere Sorge wird direkt im Artikel angesprochen. Hohe Arbeitsbelastung, Dinge werden nicht mehr zu Ende gedacht, alles wird dem Ziel Agilität untergeordnet und jeder sprintet nur noch auf sein Teilziel zu. Sogar von digitaler Fließbandarbeit ist die Rede. Die vorgesehenen Schutzmechanismen scheinen noch nicht ausgereift.

Agiles Verhalten im Sinne von lösungsorientiertem Handeln sollte Hauptziel jeder Organisation sein. Was braucht es dafür? Ist wirklich ein radikaler Umbau, mit seinen schwer vorhersehbaren Folgen auf der menschlichen Ebene, notwendig? Müssen ganze Abteilungen und damit deren Heimat aufgelöst werden? Wie wäre es, stattdessen die Schnittstellen unter die Lupe zu nehmen und zu optimieren? Im Beispiel würde der Controller regelmäßig an den Teambesprechungen teilnehmen, bliebe aber weiterhin im Controlling beheimatet.

Optimierte Schnittstellen sind immer ein zentrales Thema für jede Führungskraft. Wo können meine Mitarbeiter nicht so arbeiten, wie sie wollen und sollen? Wo verlieren wir Zeit und Energie? Wo werden wir blockiert?

In der Vergangenheit führten diese Fragen zu komplexen Matrixstrukturen heute zur Agilen Führung mit teils radikalen Maßnahmen.

Da sind kleine Teams aus 4 – 6 Mitarbeiter, die eigenständig agieren und sich mit anderen Teams abstimmen, sinnvoller. Denn das ergibt die gewünschte Beweglichkeit und klare Zuständigkeiten. Ihre Kunden werden Ihnen sofort sagen, ob das wirklich funktioniert, denn Kunden können Ihnen direkt rückmelden, wie lange eine Anfrage dauert, wie schnell das Angebot vorliegt, wie oft eine Projektierung angepasst werden muss.

Trotz interessanter Anstöße aus dem Artikel meinen wir, dass die meisten Unternehmen besser beraten sind,, zu schauen, dass alles (vor allem an den Schnittstellen!) reibungslos läuft. Und eine gut funktionierende Kommunikation zwischen allen Beteiligten ist und bleibt der ausschlaggebende Erfolgsfaktor.

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