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Im Spannungsfeld unterschiedlicher Systeme

Personalentwicklung geht Hand in Hand mit Organisationsentwicklung. Das heißt, dass Mitarbeiter oder Führungskräfte ihr Verhalten nur ändern können, wenn das soziale System, indem sie sich bewegen, diese Veränderung auch zulässt. Klingt abstrakt, wird an folgenden Beispielen aber rasch deutlich.

Was passiert, wenn Personalentwicklung nicht im Einklang mit den organisatorischen Rahmenbedingungen geschieht?
Ein Mitarbeiter lernt auf einem Zeitmanagement-Training, dass er seine Arbeitsmenge erfolgreicher bewältigt, wenn er wichtige Themen ungestört in einer “stillen Stunde“ bearbeitet. Die “stille Stunde“ soll er laut Trainer regelmäßig einplanen, am besten täglich. Optimalerweise bewirkt dieses neu erlernte Wissen eine Verhaltensänderung beim Mitarbeiter. Aber er wird diese im Alltag nur schwer umsetzen können, wenn alle seine Kollegen das anders sehen, und ihn in seiner “stillen Stunde“ stören. Und er wird es schätzungsweise überhaupt nicht umsetzen können, wenn in seinem Unternehmen die Kultur der “offenen Bürotür“ großgeschrieben wird.
Ein Teamleiter verlässt das Unternehmen. Sein Führungsstil war gemäß der Unternehmenskultur eher konservativ-autoritär. Ein Teammitglied wird nun auf den freigewordenen Chefsessel befördert und zur Vorbereitung auf ein Führungskräfteseminar geschickt. Dort lernt er, dass ein partizipativer Führungsstil sehr viel zeitgemäßer und sehr viel effektiver ist. Was meinen Sie, wie gut er diesen Führungsstil in seinem Unternehmen praktizieren kann? Nicht nur, dass er gegen – häufig ungeschriebene – Gesetze der Firmenkultur verstößt. Auch die Mitglieder des Teams werden sich, rein aus Gewohnheit, gemäß dem autoritären Stil des Vorgängers verhalten und werden den jungen (unerfahrenen) Teamleiter damit unbewusst in die autoritäre Richtung drängen.

Dieses Spannungsfeld kann ungeahnte Extreme erreichen.
Als Berater für Personal- und Organisationsentwicklung sind wir uns dieses Spannungsfeldes sehr wohl sehr bewusst. Aber auch wir waren kürzlich überrascht, welche extremen Ausmaße hier möglich sind. In einem Interview mit Christine Ermer, Leiterin der sozialtherapeutischen Anstalt in Baden-Württemberg wurde es sehr deutlich. Die sozialtherapeutische Anstalt ist seine Einrichtung des Strafvollzugs für Sexual- und Gewalttäter mit integrativem Behandlungsangebot zur Resozialisierung. Hier sind also wirklich die “schweren Jungs“ untergebracht, die während des Vollzugs therapeutisch an sich arbeiten. Es geht also um sehr grundlegende Verhaltensänderungen, und dafür bedarf es konstruktiver Offenheit. Viele Inhaftierte müssen sich mit Verhaltensregeln auseinandersetzen, die sie seit ihrer frühesten Kindheit unbewusst verinnerlicht haben. Die Inhaftierten müssen sich diese Verhaltensregeln erst mal bewusst machen, damit eine Änderung überhaupt erst möglich wird. Dafür braucht es persönliche Offenheit. Und es braucht eine offene Arbeitsatmosphäre, die es dem Inhaftierten ermöglicht, sich für diese schwierigen Themen zu öffnen. Allein das ist schon anspruchsvoll genug! Aber richtig spannungsgeladen wird die Situation dadurch, dass alles in einem extrem engen, weil hochreglementierten Rahmen stattfindet. Die therapeutische Arbeit verlangt Offenheit, aber sie findet im geschlossenen Vollzug statt! Der Klient bleibt immer Inhaftierter und unterliegt einem extrem geregelten und einschränkenden Tagesablauf mit Einschluss, Haftraumkontrollen, Ganzkörperkontrollen, etc. Kurz: Der Klient soll sich öffnen, um Verhaltensregeln seiner Kindheit in Frage zu stellen, sie zu ent-lernen und sie durch neues Verhalten zu ersetzen. Gleichzeitig darf er als Inhaftierter die Verhaltensvorgaben des Justizvollzugs keineswegs in Frage stellen. Hier ergibt sich ein eklatanter Widerspruch zwischen dem Menschen und seinem aktuellen sozialen System.

Kann das überhaupt gelingen?
Wir sagen ja. Der erste Schritt ist, sich solcher Widersprüche überhaupt bewusst zu werden, also sie zu erkennen. Es können Widersprüche zwischen Mensch und System, aber auch zwischen Systemen sein, wie sie sich bei Umstrukturierungen oder Firmenübernahmen ergeben. Sind diese Widersprüche erkannt, so können sie sicher nicht immer gelöst werden, aber es kann bewusst und aktiv mit ihnen gearbeitet werden. Geschieht dies nicht, so wirken sie auf jeden Fall im Verborgenen weiter. Ein Grund weshalb viele Change-Projekte viel weniger Erfolg bringen als gedacht. Das bedarf viel systemisches und kommunikatives Wissen und Erfahrung. Und es bedarf des externen, neutralen Blicks eines Beraters, der selbst nicht Teil des Systems ist.

Wir haben sowohl das Wissen als auch die Erfahrung. Darum sind wir Ihr Spezialist für Change-Management. Aber auch wir haben in dem Interview mit Frau Ermer interessante Einsichten über die Führungsarbeit in einem sehr konträren und gleichzeitig sehr geschlossenen System erhalten. Und wenn Sie sich gerne das gesamte Interview mit Frau Ermer anhören wollen, dann holen Sie es sich im aktuellen Podcast Episode 47.

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